Neuausrichtung, Kekse & Prioritäten: Wie wir als Selbstständige und Mütter duch die aktuelle Zeit kommen

Die letzten 12 Wochen waren eine wilde Zeit – als Mutter, als Partnerin, als Selbstständige, eigentlich in allen Kontexten meines Lebens. Vor kurzem habe ich mit meinen Kolleginnen Amelie Vesper und Carola Keitel von den Kommunikationslotsen ein Gespräch  geführt, wie wir als Selbstständige und Mütter durch die letzten Wochen gekommen sind, was uns leicht oder schwer fiel, was uns unterstützt hat und worauf wir stolz sind. Begleitend zu unserem Gespräch findet ihr hier einen neuen kleinen Selbstoaching Impuls zum Thema Prioritäten, dieses Mal visualisiert von Carola. Wir arbeiten dran, euch in den kommenden Monaten noch viele spannende Angebote zu machen. Auf diesem Weg könnt ihr uns drei schon etwas besser kennenlernen. Happy reading!

 

Wie erlebst du gerade diese Zeit? Was findest du anspruchsvoll daran?

 

Amelie: Ich erlebe die Zeit in unterschiedlichen Phasen: Am Anfang wollte ich Corona nicht wahrhaben und konnte es nicht glauben, dass ich jetzt wirklich nicht mehr meine oder Joris Freunde treffen darf. Dann gab es eine Phase, in der ich ziemlich angespannt war, weil ich aufgrund der Festanstellung meines Mannes die Betreuung von Joris komplett übernommen und gleichzeitig meinen (hohen) Anspruch gespürt habe, auch arbeiten zu müssen/wollen und neue virtuelle Angebote zu erschaffen, um weiterhin arbeiten zu können. Diesen Anspruch bei wenig Zeit und kaum mentalem Raum zu befriedigen, ist quasi unmöglich.

 

Eigene Ansprüche – das Mögliche vom Unmöglichen unterscheiden

 

Die nächste Phase war, dass ich an meinem Anspruch bei der Arbeit „mitzumischen“ gearbeitet habe und ihn loslassen konnte, . Ich habe mich damit zufrieden gegeben, momentan Joris zu betreuen und zweimal in der Woche Yoga zu unterrichten und darauf zu vertrauen, dass ich mich den virtuellen Angeboten widmen kann, wenn die Tagespflege wieder öffnet. Das hat mir dabei geholfen, die Zeit zu Hause als Familie zu nutzen und zu genießen. Joris entdeckt gerade seine Sprache und es macht ungeheuerlich viel Spaß seine Entwicklung zu begleiten. Dann kam bei meinem Mann die Kurzarbeit und damit wieder eine neue Phase, in der es galt, sich einzurichten.

 

Loslassen! Aber wie?

 

Lara: Ich habe mich beim Zuhören gerade gefragt, wie du es geschafft hast, deine Ansprüche loszulassen – das ist z.B. was, das mir grundsätzlich eher schwer fällt. Ich empfinde es aktuell als sehr anspruchsvoll, Raum für mich, alle meine Ideen und Rollen zu finden. Ich habe weniger das Gefühl, arbeiten zu müssen, sondern erlebe gerade, dass nach einer ersten Phase der relativen Ruhe und Einkehr und des totalen Fokus auf das Familienleben ganz viele neue Ideen entstanden sind, bzw. Ideen, die schon lange in mir geschlummert haben, jetzt so richtig zur Blüte kommen.

 

Viel Energie für Neues, wenig Zeit

 

Ich habe gerade unglaublich viel Energie, etwas Neues zu gestalten – und gleichzeitig wahnsinnig wenig Zeit, das auch wirklich zu tun. Das Leben hat sich einfach von jetzt auf gleich rasant verändert. Unseren Sohn betreuen, meine Selbstständigkeit irgendwie absichern und dafür vieles auf links drehen, Sorge um die Eltern, ganz viel Care-Arbeit übernehmen, ständige Abstimmung mit meinem Mann, keine wirkliche Perspektive, wann sich die Situation verändert, auch physisch wenig Raum für mich zu haben, das zerrt alles an mir. Dass gleichzeitig so viel Energie da ist, etwas Neues zu schaffen, ist schön. Und es ist eine riesige Herausforderung für mich, sie jetzt in ruhige Bahnen zu lenken und mir selbst die Gewissheit zu geben, dass ich auch in langsameren Tempo gestalten und wirksam sein kann.

 

Veränderung gestalten, auch wenn wir sie nicht gewollt haben

 

Carola: Wenn ich das höre, dann fällt mir ein: Veränderung ist oft gut – aber meist erst im Nachhinein. Die Veränderungen, die gerade im Gange sind, können jetzt schon auf etwas hindeuten, das wirklich gut funktioniert in der Zukunft. Und trotzdem ist es kein gutes Gefühl, innerhalb der Krise zu stecken. Obwohl ich davon ausgehe, dass es für irgendetwas gut sein wird, sträube ich mich immer wieder den Flow der Krise mitzugehen. Ich bin unfreiwillig in einer Situation, für die ich mich nicht entschieden habe. Und das ist das, denke ich, was mich vor allem fordert. Wenn ich mich bewusst für die Veränderung entschieden hätte, dann könnte ich sicher viele Aspekte dieser Krise besser tragen, weil ich den Sinn dahinter mehr spüren würde. Und so bin ich gezwungen durch die äußeren Umstände für mich umwälzende, innerliche Veränderungen anzugehen.

 

Beruflich alles auf links drehen – und gleichzeitig alles am Laufen halten

 

Eine der großen Umwälzungen besteht darin, dass vieles, was ich beruflich bisher gemacht habe, jetzt so ad hoc nicht mehr geht. Alle Präsenzveranstaltungen müssen irgendwie im Onlineraum stattfinden und das muss erst einmal konzipiert und getestet werden. Das heißt, ich bin gefordert (oder das ist immer wieder mein Anspruch), (fast) alles umzukrempeln. Und das braucht eigentlich sehr, sehr viel Zeit und Kraft. Aber: Die habe ich im Moment nicht! Warum? Ich muss meine zweijährige Tochter betreuen, ich brauche hier und da auch mal eine kurze Zeit für mich – von der Zeit mit meinem Mann ganz zu schweigen, mein Hund möchte raus, das Haus will sauber sein, das Essen eingekauft und gekocht. Und das alles unter enormem wirtschaftlichem Druck. Wie soll ich das in 24h bei Kräften schaffen? Es ist mir nicht möglich. Zumindest nicht bei dem Anspruch, den ich bisher an mich hatte. Also gehe ich genauso vor wie du, Amy, ich arbeite an meinen Ansprüchen. Und es ist immer wieder hart!

 

Die Kraft von Intentionen und Keksen

 

Amelie: Ich finde das super spannend – und kann sagen, dass ich gerade das Gefühl habe, nichts mehr in der Hand zu haben. Alle Säulen, die gut für das eigene Wohlbefinden sind, fallen weg bzw. wir haben sie nicht mehr in der Hand.

Carola: Als Coach sage ich immer: schau darauf, was du in der Hand hast. Und jetzt merke ich, wenn ich mir die Frage selbst stelle, dass ich für mein Gefühl viel zu wenig in der Hand habe. Es ist nicht so, dass es nichts ist – aber oft reicht es mir nicht. Ich mache gerade meine Erfahrungen damit, für mich jeden Tag eine Intention für den Tag zu setzen. Und wenn mir das gelingt, spüre ich auch, dass ich den Tag viel besser bestreiten und auch genießen kann. Und: wenn ich 5 Minuten habe, dann erledige ich nicht noch schnell etwas. Sondern ich setze mich bewusst hin, atme durch und halte Ausschau nach Dingen um mich herum: Die Blätter im Wind, die Amseln, die nach Würmern suchen, die Wolken, die ziehen oder meine Tochter, die vielleicht mal versunken alleine spielt. Das ist etwas so einfaches und es tut mir richtig gut. Und ich frage mich, warum mir das im Alltag sonst so wenig gelingt und warum ich da immer nach dem Großen strebe.

Amelie: Das zum Beispiel mache ich auch und es hilft mir sehr. Ich mache es jeden Tag bei Kaffee und Keks – ich richte mich mental aus.

Lara: Für mich ist es gerade total wichtig, mir selbst planbare Horizonte zu schaffen, sodass ich mich nicht nur als reaktiv erlebe. Ich hab zum Beispiel schon ziemlich früh für mich gesagt “okay, die Kita wird aller Voraussicht nach erst nach dem Sommerferien auch für unseren Sohn wieder möglich sein”. Das war erstmal hart. Aber es hat mir Klarheit gegeben, mich aus- und einzurichten für die nächsten Monate. Ich merke, dass ich bei aller Abhängigkeit nicht auch noch im Zwei-Wochen-Takt eine Pressekonferenz verfolgen wollte, nach der ich mich ausrichte.

 

Freude an dem, was ist

 

Und ich musste mir erstmal erlauben, mich zu freuen über das Leben, das ich gerade leben darf! Das hat auch einen riesigen Unterschied gemacht. Vieles an der Situation ist bedrückend, ja. Und gleichzeitig gab es so viel Schönes in den letzten Wochen: die Hilfsbereitschaft von Freunden und Familie, als wir nach dem Skiurlaub in Quarantäne mussten, ein Kindergeburtstag, den nur wir drei gefeiert haben, das großartige Wetter, so viel Zeit draußen, Online-Weintrinken mit Freunden und so viel mehr. Hätte es anders noch schöner sein können? Vielleicht. Aber hatte ich Spaß und zwischendurch mal alles um mich rum vergessen? Ja!

Carola: Ich habe mich fast 2 Wochen gewehrt, mit den kleinen Sachen zufrieden zu sein. Und ich frage mich – wozu?

Amelie: Ich denke, dass es daran liegt, dass wir selbst viel zu streng mit uns sind! Wir leisten, gerade als Mütter, so viel im Moment. Und dann auch noch von sich zu verlangen, ganz viele neue Routinen zu etablieren, das ist einfach zu viel.

 

Weniger von sich verlangen – es ist gerade einfach krass

 

Zu meinem “Kaffee und Keks”-Ritual möchte ich noch sagen: Das ist meine Morgenroutine und Morgenroutine ist etwas ganz hilfreiches und auch Individuelles. Es gibt nur eine Sache, die meiner Meinung nach sein soll: es sollte leichtfüßig sein und zu einem persönlich passen. Und das geht auch in wenig Zeit. Eine Idee, die ich von Kristin Graf habe (Podcast: „Die friedliche Geburt“): Schau darauf, welcher Typ du bist, Lerche oder Eule? Und nutze dann deine Zeit, wenn die Kids schlafen… Trotz Allem: Ich erlebe die aktuelle Zeit auch als sehr dicht. Darin immer wieder eigene Bedürfnisse zu spüren, zu kommunizieren und Wünsche/Erwartungen auszusprechen, finde ich anspruchsvoll. Mir fällt es oft schwer, Pausen einzubauen und mal Fünfe gerade sein zu lassen. An letzteres erinnere ich mich täglich… 😉

 

Pause ist auch wichtig

 

Lara: Ja, den Wert der Pause habe auch nochmal ganz neu praktisch kennengelernt. Als mein Kalender von jetzt auf gleich leer war, weil erst einmal alle Aufträge abgesagt wurden, war das wie eine Pausentaste für mein sonst sehr getaktetes Leben. Und ich habe es richtig genossen, erst einmal gar nichts zu tun, außer mit meinem Sohn in den Tag hinein zu leben- das habe ich mich fast gar nicht getraut zu sagen, gerade als Selbstständige! Keine Termine, keine Pläne, einfach nur wir. Dadurch hat sich trotz so vieler Beschränkungen in der aktuellen Situation auch eine ganz neue Freiheit ergeben. Und mein Leben ist durch die intensive Zeit mit unserem Sohn zuhause wieder viel spielerischer geworden und das ist schön.

 

Wie organisiert ihr euch als Familie?

 

Amelie: Wir haben als Familie einen relativ klaren Rhythmus. Wir gehen sowohl vormittags als auch nachmittags circa zwei Stunden raus und essen zu den gleichen Uhrzeiten. Das hilft uns sehr. Zudem gibt uns mein Yogaunterricht eine feste Wochenstruktur. Wir hatten auch schon vor Corona einen rhythmischen Alltag, der sich jetzt nur etwas abgewandelt hat. Das ist also nichts neu Erlerntes, sondern etwas, was wir immer so machen, weil es uns den Alltag erleichtert. Klar habe ich nicht immer Lust rauszugehen, aber wenn es als fester Programmpunkt gesetzt ist, weiß ich, dass dies jetzt dran ist und dann mache ich es einfach. Wenn ich dann draußen bin, bin ich meist froh und schöpfe neue Kraft.

 

Den Rhythmus finden, der Freiheit schafft

 

Lara: Wir haben einen Familien-Tagesplan gestaltet und ihn auch bebildert, sodass für unseren Sohn ganz leicht verständlich ist, wie unser Tag abläuft. Ich merke, dass vor allem ihm dieser rhythmische Alltag, den er ja sonst auch hat, sehr viel Sicherheit gibt. Mein Mann und ich können dadurch gut abstimmen, wann wir jeweils zwischen Arbeiten und Familienzeit wechseln. Das ist für mich total hilfreich, weil viel Transparenz entsteht. Gleichzeitig stellt sich in mir langsam eine große Sehnsucht danach ein, wieder freier und selbstständiger über meine Zeit zu verfügen und nicht immer alles absprechen zu müssen. So sehr ich Pläne im beruflichen Kontext mag, so sehr liebe ich es privat auch einfach mal in den Tag hinein zu leben, zu schauen, was als nächstes dran ist. Das verträgt sich zunehmend schlecht damit, dass uns Regelmäßigkeit hilft, gut durch die Tage zu kommen.

 

Was fällt dir schwer? In welche Falle tappst du (immer wieder)?

 

Amelie: Ich erlebe mich immer wieder als diejenige, die automatisch in die Rolle schlüpft, Sorge für die Anderen zu tragen. So habe ich ganz selbstverständlich die Aufgabe übernommen, auf Joris aufzupassen und meinem Mann einen Ausgleich zu ermöglichen, in dem er regelmäßig Sport machen kann. Anspruchsvoll ist hierbei für mich, mich daran zu erinnern, dass wir uns Verantwortung teilen und ich auch Zeit für mich und meine Arbeit brauche und einplanen kann. Mein Mann erinnert mich gerne daran, dass ich auch seine Hilfe zulassen darf… 😉

Lara: Das kenne ich auch gut. Für mich sind Gleichberechtigung und Fairness total wichtig, nicht nur aktuell, sondern ganz grundsätzlich. Und ich merke, dass beide Bedürfnisse gerade deutlich an Grenzen stoßen. Ich erwische mich dabei, dass ich dazu neige, mir selbst am wenigstens Raum zu geben und dafür im Gegenzug viel Raum für die anderen zu schaffen, vor allem für unseren Sohn, aber auch für die Arbeitszeit meines Mannes. Und das hat mich, nachdem ich einige Wochen super durch die Coronazeit gekommen bin und mit viel Pragmatismus dafür gesorgt habe, dass wir uns gut in unserem neuen Alltag zuhause zwischen Kinderbetreuung und Arbeiten einrichten, in ein ziemliches Loch fallen lassen.

 

Ich existiere nur noch in den Zwischenräumen

 

Auf einmal war da der Satz „ich existiere nur noch in den Zwischenräumen“. Das hat mich ziemlich erschreckt, es aber einfach auf den Punkt gebracht. In der wenigen Zeit, die mir für mich bleibt, muss ich ständig priorisieren, noch deutlich mehr, als das sonst in meinem Leben als Mama und Selbstständige der Fall ist. Immer wieder habe ich gemerkt, dass mein Fairnessbedürfnis durch die aktuell doch recht ungleich verteilte Arbeitszeit sehr stark leidet und sich in mir eine kleine Rebellion aufbaut.

 

Fairness, Gleichberechtigung und der Autopilot

 

Natürlich ist es so, dass in meiner Selbstständigkeit viele Aufträge weggefallen sind und ich zudem grundsätzlich mehr Flexibilität in unseren Familienalltag einbringen kann als mein Mann, der als Führungskraft in einem großen Unternehmen arbeitet. Ich ertappe mich aber auch dabei, dass ich quasi wie im Autopiloten automatisch meine eigenen Themen schiebe, wenn es für meinen Mann gerade hilfreich ist. Dadurch habe ich mir selbst das Wasser abgegraben: denn ich habe zwar viele Aufträge verloren, aber gleichzeitig entstehen viele neue Ideen und ich spüre sehr viel Energie, etwas Neues auf die Beine zu stellen. Immer wenn ich z.B. mit euch an unseren Ideen arbeite, spüre ich ganz viel Kraft und Leichtigkeit. Und eben auch Normalität. Und das alles brauche ich auch für mein Wohlbefinden.

Carola: Meine Falle ist, wenn ich denke „jetzt läuft es“. Es gibt Tage, da denke ich, „so ist es perfekt, jetzt habe ich mich endlich eingerichtet“. Und am nächsten Tag hänge ich wieder durch, bin unzufrieden mit den Gegebenheiten und habe einen richtigen Scheißtag. Weil mein Anspruch wieder gestiegen ist und ich nicht bemerke, wie er das fast automatisch tut und somit am nächsten Tag wieder nicht in den Alltag passen kann. Damit tue ich mir keinen Gefallen.

Amy: Das! Und ich glaube, wir haben zusätzlich ganz viel gewonnen, wenn wir milder mit uns sind, wenn wir mal einen Scheißtag haben. Denn es ist einfach normal, dass man solche Tage hat. Wir tun uns etwas Gutes, wenn wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es solche  Tage gibt.

 

Tiefkühlpizza, Kaffee und andere Bewältigungsstrategien

 

Carola: Fordernd daran finde ich vor allem, dass meine alten Routinen, mit solchen Tagen umzugehen, nicht mehr passend sind mit meinem Kind permanent bei mir: ich kann mir nicht mehr einfach zwischendurch mal eine Tiefkühlpizza kaufen und mich vor den Fernseher hängen. Das heißt, es ist doppelt schwer: Sich mit den miesen Tagen anfreunden und einen neue Routine entwickeln, mit ihnen umzugehen, obwohl man ein Kind begleitet.

Lara: Dazu habe ich neulich morgens, als ich nach einer mal wieder viel zu kurzen Nacht an der Kaffeemaschine stand, eine ganz erstaunliche Entdeckung gemacht: bis dahin bin ich an solchen Tagen immer mit dem Gedanken aufgestanden, dass ich jetzt “funktionieren” muss und irgendwie die Energie aufbringen muss, dass niemand merkt, dass ich gerade überhaupt keine Lust auf gar nichts und einfach schlechte Laune habe. Und dann dachte ich auf einmal, was für ein Quatsch!  Seitdem ich mir erlaube, einfach mal schlechte Laune zu haben und nicht sofort alles in Angriff nehmen zu müssen, ist es für mich deutlich entspannter geworden.

 

Wie sorgst du gut für dich? Was ist dein Geheimrezept, um bei guter Laune zu bleiben?

 

Amelie: Ich beginne wie schon gesagt meinen Tag mit einem Kaffee und einem Keks und führe dabei ein 6-Minuten Tagebuch. Dies hilft mir, mich morgens auf das zu besinnen, was mir an diesem Tag wichtig ist. An schlechten Tagen kann ich mich mithilfe der vorgegeben Struktur des Buches mit Sätzen motivieren, die mir bei schlechter Laune gut tun. Dann schreibe ich einfach auf, dass es okay ist, wenn ich heute einfach nur durch den Tag komme.

Lara: Was mir aktuell gute Laune macht, ist Bewegung, ganz bewusst etwas Körperliches tun und nicht immer nur denken. Das kann man super von Kindern lernen. Oft packe ich mir meinen Sohn aufs Fahrrad und wir machen eine Radtour durch den Wald. Ich fahre zwei Mal die Woche zu meinem Pony, das ist auch wie Eintauchen in eine andere Welt. Und ich nehme mir wieder mehr Zeit, oft auch spät abends, um Yoga zu machen und zu meditieren. Das klingt klischeehaft und ist es ja vielleicht auch – aber es hilft. Und mein Mann und ich versuchen, abends wenn unser Sohn schläft, bewusst Zeit einzuplanen, die jeder für sich in einem anderen Zimmer verbringt. Dieses Allein-Sein und dann tun zu können, was ich möchte, und seien es auch nur 30 min, gibt mir aktuell total viel Kraft.

Carola: Mich immer wieder darauf zu konzentrieren, im Hier und Jetzt zu sein und die Momente auszukosten, die eben gerade da sind. Das kann Arbeit, Sein mit meiner Tochter oder sonst etwas sein. Hauptsache ich tue es bewusst und voll und ganz.
Und mich – mit diesem Wissen – für die Momente zu entscheiden, die mir besser tun als andere.

Worauf bist du stolz, wenn du auf die letzten Wochen schaust?

 

Amelie: Mein größter Stolz ist immer, wenn ich mich in diesen intensiven Zeiten bei Laune halte und mich an kleinen Dingen erfreuen kann.

Lara: Dass ich mich in meiner knappen Zeit zwischen Arbeiten und Entspannung ganz oft für die Entspannung entscheide. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich! So sehr mir die Arbeit Spaß macht und Energie gibt, so sehr spüre ich gerade, dass die Basis dafür erstmal durch Ruhe, Abstand und Zeit für mich allein entsteht. Und ich bin stolz darauf, dass mein Mann und ich, auch wenn es manchmal schwer und nicht immer harmonisch ist, so viel darüber sprechen, wie es uns gerade geht und was wir brauchen.

Carola: Ich bin stolz darauf, dass ich gerade den Eindruck habe, dass mir diese Krise hilft, zu meinen wirklichen Bedürfnissen zu finden und mir den Mut gibt zu trennen zwischen: Will ich wirklich und kann ich auch lassen. Denn nur so kann ich Prioritäten setzen und Dinge weglassen, die ich vorher immer mitgeschleift habe: aufgrund von Routine, Gewohnheit oder Faulheit. Und jetzt bleibt einfach zu wenig Zeit und ich kann mir das “Überflüssige” und “Fade” nicht mehr leisten.

Worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, das wird mehr – ein neuer Selbstcoaching-Impuls

Herzlich willkommen an meinen Grenzen!

Diese Woche hatte es in sich. In mehr als nur einer Hinsicht hat sie mich an meine Grenzen gebracht und auch mal darüber hinaus. Dazu gibt es ganz bald auch eine persönliche und ungeschönte Selbstreflektion mit dem SCARF-Modell, das ich vor ein paar Wochen hier vorgestellt habe.

Ein Impuls, der mir geholfen hat, doch noch versöhnt aus dieser Woche zu gehen, kam im Gespräch mit meinen wunderbaren Kolleginnen Amelie und Carola von den Kommunikationslotsen auf. Wir haben uns darüber berichtet, wo wir aktuell trotz all der Einschränkungen, die das Leben gerade mit sich bringt, aus dem Vollen schöpfen. Daraus hat Amelie flugs wieder einen kleinen Selbst-Coaching-Impuls visualisiert, den ihr am Ende vom Artikel findet. Wer Lust hat, findet auf dem Weg dahin etwas darüber, was das mit unserer Fähigkeit zu tun hat, gut durch Transformations- und Krisenzeiten zu kommen.

 

Tiefes Loch, wenig Gefühl für den Boden

Und da war ich diese Woche mitten drin. Gerade angesichts der aktuellen Ankündigungen dazu, worauf Familien sich in den kommenden Monaten weiterhin einstellen müssen, hat mich ein Gefühl von Ohnmacht gepackt, von Nicht-Wissen, wie das alles weiter gehen soll, wie wir als Paar es schaffen können, nicht in Verteilungskämpfe zu verfallen, wie unser Kind ohne wirklichen Kontakt zu anderen Kindern seine zunehmende Autonomie ausleben kann, woher die Kraft für die x-te kreative Eigenlösung kommen soll. Tiefes Loch, wenig Gefühl für den Boden.

Meine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, was gerade alles nicht ist – nicht möglich, nicht machbar, nicht da. Aus neurowissenschaftlicher Sicht kann man sagen, ich war in einer Art Problemtrance, voller Fokus auf mein Problemerleben. Und damit auch mittendrin in all den – auch physiologischen Prozessen – die durch Stress, Trauer und Unsicherheit ausgelöst werden.

 

Worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, wird mehr

Aus den Neurowissenschaften wissen wir, dass unser Gehirn nicht unterscheidet zwischen aktuellem Erleben, bereits Erlebtem oder der Imagination von etwas, das wir erleben möchten. Die Gefühle und auch physiologische Reaktionen sind dieselben. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was wir als negativ, beängstigend, verunsichernd empfinden, verstärken wir unser Erleben in diese Richtung. Und umgekehrt ganz genau so. Genau deswegen können wir unseren Zustand spürbar dadurch verbessern, dass wir unsere Aufmerksamkeit vom Problemerleben aus weg und auf etwas Neues ausrichten.

Das klingt vielleicht erstmal schwierig und zu simpel zu gleich. Denn wie löst man sich von einem Problem, das einen zu erdrücken scheint? Und so einfach kann es dann doch auch wieder nicht sein, einfach an etwas Schönes zu denken?

 

Wir haben Gefühle, wir sind nicht unsere Gefühle

Ein Erkenntnis, die mir dazu in der Vergangenheit ganz oft geholfen hat, war, dass ich Gefühle habe, die mein aktuelles Erleben zu dominieren scheinen – aber dass diese Gefühle dennoch nicht (meine) gesamte Realität sind. Dass ich sie wahrnehmen kann, aber mich nicht vollkommen von ihnen mitreißen lassen muss. Sondern dass ich tatsächlich eine bewusste Wahl habe, wie ich mit dem umgehen möchte, was sich da gerade bei mir meldet. Dass ich wählen darf, mich besser zu fühlen. Dass darin sogar meine beste Chance liegt, überhaupt Lösungen für Probleme zu finden.

Denn all das, was uns in eine Stresssituation versetzt – und dazu gehören Angst, Wut, Trauer -limitiert unser kreatives Potenzial. In unserem Gehirn sind – ganz archaisch – vornehmlich die Areale aktiv, die unser Überleben sichern sollen. Dabei reproduzieren wir das, was wir in für uns prägenden Situationen als sicherheitsspendend und lebenserhaltend abgespeichert haben. Für Kreativität und neue Lösungen ist in diesem Programm keinen Platz.

Um diesen Platz zu schaffen, brauchen wir die Aktivität des ventralen Vagus und des Parasympathikus, beides Teile unseres autonomen Nervensystems. Um sie zu aktivieren und den Gegenspieler, den Sympathikus zu dämpfen, helfen zwei sehr einfache Dinge: tiefe Bauchatmung und Bewegung. Sie können unser erster Schritt raus aus der Problemtrance sein.

 

Nicht das Problem lösen, sondern mich vom Problem lösen

Um ein Problem lösen zu können, hilft es also im wahrsten Sinne des Wortes erstmal, uns von unserem Problem zu lösen. Dabei geht es nicht darum, die damit verbundenen negativen Gefühle zu verdrängen. Sondern sie wahrzunehmen und uns dann mit voller Absicht in einen besseren Zustand zu bringen, aus dem heraus wir uns wieder als handlungsfähig und selbstwirksam erleben. Atmen, bewegen und dann unsere Aufmerksamkeit bewusst auf etwas anderes richten.

Das funktioniert unter anderem über das möglichst lebhafte Erinnern an etwas, das uns Spaß macht, Kraft und Energie gibt, Leichtigkeit verleiht, Glücksmomente verschafft, etwas, das uns das Gefühl gibt, lebendig zu sein. Oder über das möglichst lebhafte Imaginieren einer für uns total erstrebenswerten Zukunft, z.B. über Meditation. Oder eben über das Fokussieren auf das, was trotz allem momentan in unserem Leben gut ist und wofür wir dankbar sind, so dankbar, dass es uns unwillkürlich ein Lächeln ins Gesichts zaubert oder uns das Herz aufgeht. Egal welchen Weg wir wählen, wichtig ist, dass wir versuchen, mit allen Sinnen einzutauchen in die Erinnerung oder Vorstellung.

 

Dankbarkeit nimmt Krisen die Schärfe und wirkt positiv auf Körper und Psyche

Jetzt ist man vielleicht schnell versucht zu fragen „Wofür soll ich in meiner aktuellen Situation denn dankbar sein?“. Diesen Gedanken kenne ich auch. Und dennoch: wann immer ich mich eingelassen habe, nach Aspekten zu suchen, kamen sie. Egal wie klein sie waren oder für wie selbstverständlich ich sie vielleicht bisher genommen habe. Studien deuten mittlerweile sogar darauf hin, dass Dankbarkeit noch viel mehr positive Nebenwirkungen hat: wer regelmäßig seine Aufmerksamkeit auf das richtet, wofür er dankbar ist, ist optimistischer, leidet weniger unter Kopfschmerzen und Muskelverspannungen, erreicht Ziele besser, verbessert seine Herzgesundheit und seine Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen zu begegnen. Denn Dankbarkeit regt ebenfalls die Aktivität des Vagus und des parasympathischen Systems an, das für Entspannung und eine Senkung des Stresslevels verantwortlich ist. Und das lohnt sich doch in jedem Fall auszuprobieren.

Deswegen gibt es heute diesen kleinen Selbstcoaching-Impuls (Selbstcoaching Template_Reichtum) zum Ausrichten auf all den Reichtum, den es in eurem Leben gibt. Viel Freude damit!

Eltern-Sein in der Corona-Krise: Ein kleines Selbstcoaching-Tool für dich!

Wir sind noch immer mittendrin

Vor zwei Wochen habe ich in diesem Blogartikel zwei neurowissenschaftliche Erkenntnisse mit euch geteilt, die mir geholfen haben, mein aktuelles Erleben als Elternteil in der Corona-Krise besser zu verstehen. Seitdem ist so Vieles passiert und einiges auch nicht. Deutlicher als noch vor zwei Wochen zeigt sich, dass die Situation für Familien weiterhin herausfordernd bleiben wird. Wir sind noch immer mittendrin und ein wirkliches Ende ist kaum abzusehen. Daher wollen meine Kolleginnen und ich weiterhin dran bleiben, euch als Eltern in dieser Zeit zu begleiten. Mit Artikeln, ehrlichen Berichten über unsere eigenen Erlebnisse, Online-Angeboten zum Zusammenkommen, Online-Coachings und kleinen Selbstcoaching-Tools, die ihr ganz einfach in euren Alltag einbauen könnt.

 

Wie gut bist du bei Laune und Kraft? Ein kleines Selbstcoaching-Tool für dich!

Das SCARF-Modell, das ich vorgestellt habe, bietet uns eine Möglichkeit, eigene Bedürfnisse in Krisen- und Transformationszeiten zu erkennen. Und darüber erst einmal für uns zu klären, warum es uns eigentlich geht, wie es uns geht. Und was wir brauchen, um bei Laune und Kraft zu bleiben, gerade dann, wenn es stürmisch um uns wird.

Meine wunderbare Kollegin Amelie Vesper hat für euch, auf der Basis des letzten Blogartikels, ein kleines Selbstcoaching-Tool zum SCARF-Modell visualisiert, das wir euch auf diesem Weg zur Verfügung stellen möchten. Du findest es hier (Selbstcoaching Template_SCARF) zum Download.

 

Wie du mit dem Tool arbeiten kannst

Das Template ist eine Einladung zur Selbstreflexion. Es geht darum, kurz innezuhalten, in dich hinein zu spüren und zu gucken: wo stehe ich gerade und wie geht es mir wirklich? Und dann einfach erstmal alles einzutragen, was dir dazu gerade in den Sinn kommt. So hast du auch eine erste Grundlage, um dich ggf. mit deinem Partner oder deiner Partnerin auszutauschen.

Wir sind überzeugt, dass dadurch mehr Klarheit und Bewusstsein für das eigene Wohlbefinden entstehen kann. Und das gibt uns überhaupt erst die Grundlage, um gut für uns selbst und damit auch für Andere zu sorgen. Die Fragen sollen erste Gedankenanstöße geben. Und wenn dir die Platzhalter zu klein sind, dann schreib einfach munter auf einem anderen Blatt weiter. Nutz das Template einfach als Einstieg und schau, wohin dich deine Gedanken führen.

Wir wünschen dir damit viel Freude!

Eltern-Sein in der Corona-Krise: Warum es uns so geht, wie es uns geht

Vor kurzem habe ich irgendwo in den sozialen Netzwerken einen Post gelesen, der mit der Frage überschrieben war „Wie werden unsere Kinder die Corona-Krise in Erinnerung behalten? Welche Gefühle werden sich bei ihnen melden, wenn sie auf diese Zeit zurückblicken?“ Das hat mich zum Nachdenken darüber gebracht, wie unser kleiner Sohn uns in dieser Zeit als Eltern erlebt. Was strahlen wir aus? Und direkt damit verbunden: Was macht das Eltern-Sein in der Corona-Krise aus? Wie geht es uns wirklich? Und warum geht es uns so, wie es uns geht?

 

Es geht gut und schlecht – und das fordert uns

Wenn ich bei meinen Freunden und Kollegen dazu umhöre, dann sagen viele, dass die Kinder ihre Freunde oder Freizeitaktivitäten überraschend wenig vermissen. Sie genießen die Zeit, in denen ihre Eltern um sie herum sind und oft auch die neue Nähe im Alltag, die dadurch entsteht. Auch von den Eltern höre ich viel Dankbarkeit. Darüber, gesund zu sein, noch ein Einkommen zu haben, Solidarität zu erfahren von Freunden und Verwandten. Und auch darüber, dass in vielen Unternehmen plötzlich und endlich eine so große Akzeptanz für die Arbeit von zuhause und die Vereinbarkeit von Leben und Arbeiten entsteht.

Gleichzeitig gibt es auf der anderen Seite aber auch: Erschöpfung und Überforderung angesichts des ständigen Jonglierens zwischen Kinderbetreuung zuhause, Homeschooling und Arbeiten. Sorge um oder für die eigenen Eltern. Und Unzufriedenheit darüber, dass weder zeitlich noch räumlich Platz für sie selbst ist. Bei aller Wertschätzung für die positiven Aspekte der aktuellen Situation schlägt das auf die Laune und die Kraft. Vor allem, weil wir alle uns die aktuelle Situation nicht ausgesucht haben und dennoch damit umgehen müssen. Sich in dieser Ambivalenz einzurichten, ist eine Aufgabe für sich.

 

Emotionale Zustände übertragen sich

Wir wissen alle nicht, wie lange die aktuelle Situation noch andauern wird. Klar scheint aber, dass wir uns eher auf einem Langstreckenlauf als auf einem Sprint befinden. Daher glaube ich, dass es heute wichtiger als sonst eh schon ist, als Eltern gut für die eigene Laune und Kraft zu sorgen. Warum?

Aus der neurowissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass emotionale Zustände sich im wahrsten Sinne des Wortes übertragen können. Spiegelneuronen ermöglichen es uns, uns in den anderen hinein zu fühlen. Sie sorgen dafür, dass in unserem Gehirn dieselben Areale (in verminderter Form) aktiv sind, wie die der Person, mit der ich gerade interagiere. So kommt es, dass wir – bewusst oder unbewusst – das fühlen können, was auch die andere Person fühlt. Das Einmalige an diesen Nervenzellen ist, dass sie Signale bereits aussenden, sobald jemand eine Handlung nur beobachtet. Die Nervenzellen reagieren genau so, als ob man das Gesehene selbst ausgeführt hätte.

 

Unsere Kinder erfassen intuitiv, wie es uns geht

Spiegelneuronen gehören zur Grundausstattung unseres Gehirns, wir werden mir ihnen geboren. Im Laufe des Lebens kann sich auf dieser Basis unsere Fähigkeit zur Empathie weiter ausprägen. So bekommen z.B. Kinder ungefähr ab Vollendung des 2. Lebensjahres ein Grundgefühl dafür, dass andere Menschen eigene, von ihnen unabhängige Gedanken und Wünsche haben. Und das bedeutet auch, dass wir unseren Kindern wenig darüber vormachen können, wie wir selbst mit der aktuellen Situation umgehen. Je kleiner unser Bewegungsradius ist und je mehr Zeit wir miteinander verbringen, umso mehr bekommen sie unsere Gefühle mit. Auch unsere Gereiztheit, unsere Sorge, unsere Überforderung. Der Versuch, diese Gefühle zu unterdrücken, wird nicht dazu führen, dass unsere Kinder sie nicht wahrnehmen. Und uns wird es damit wahrscheinlich schlechter als besser gehen. Was kann also helfen?

 

Erstmal anerkennen, was ist – auch wenn es gemischte Gefühle sind

So einfach es klingt, so schwer kann es aktuell vielleicht sein: der erste Schritt war für mich, in Ruhe meine eigene emotionale Verfassung wahrzunehmen. Und darüber erstmal die Ambivalenz zu erkennen, in der ich mich befinde. Dass ich mich nämlich sowohl gut als auch schlecht fühle. Dass ich auf der einen Seite genieße, wie wir uns hier zuhause einigeln konnten und so viel mehr Alltag miteinander teilen. Dankbar bin für unsere Gesundheit, unser schönes Zuhause und die technischen Möglichkeiten, mit Familie und Freunden in engem Kontakt zu sein. Und dass ich auf der anderen Seite Angst habe, um meine Eltern mit Vorerkrankungen, um meine Existenz als Selbstständige. Und sich manchmal ganz alte Themen und Ängste wieder melden, von denen ich dachte, dass ich sie hinter mir gelassen hätte.

 

Wegschieben ist verlockend – hilft aber nicht

Was ich gemerkt habe: wenn ich versuche, das alles wegzuschieben, wird es nur schlimmer. Im Gegensatz dazu hat hat ein vergleichsweise simpler Schritt, mir geholfen: Ich habe mich quasi wie von außen angeschaut und mir gesagt „okay, anscheinend habe ich gerade richtig Angst, nicht weniger, aber auch nicht mehr als das“. Dadurch konnte ich mich entspannen. Und dann auch sehen, was neben der Angst eigentlich noch alles da ist. Erst auf der Grundlage konnte ich mich fragen, was mir helfen könnte, um mich in der aktuellen Situation besser einzurichten.

 

Warum es uns geht, wie es uns geht: Über Sicherheit, Fairness und die Sehnsucht, einfach mal wieder das eigene Ding zu machen

Für diese Selbstbetrachtung bin ich erneut bei den Neurowissenschaften fündig geworden: David Rock liefert mit dem „SCARF-Modell“ eine interessante Perspektive, die ich sehr hilfreich fand. Das Modell stellt fünf soziale Bedingungen in den Mittelpunkt, die beim Eintreten entweder die Belohnungs- oder bei ihrem Ausbleiben die Bedrohungsmuster des Gehirns aktivieren. Damit erzeugen sie entweder Wohlbefinden oder Stress. Es bietet daher gerade in Zeiten von Veränderung eine Möglichkeit, sich selbst ein klareres Bild davon zu machen, warum es uns eigentlich gerade geht, wie es uns geht.

„Status“
Wir leiden darunter, wenn unser (sozialer) Status bedroht oder zu unseren Ungunsten verändert wird, besonders in Zeiten von Veränderung. Unser erster Impuls ist zu versuchen, die Veränderung abzuwehren oder zu untergraben. In der aktuellen Situation kann diese empfundene Statusabwertung z.B. auch dadurch ausgelöst werden, dass wir vom Status „berufstätig“ in den Status „mehrheitlich kinderbetreuend“ wechseln. Denn unsere Arbeit, ebenso wie alle anderen Rollen und Lebensbereiche, tragen zu dem bei, wie wir uns selbst und unseren Status, im Wortsinn unseren Stand, erleben.

„Certainty“
Psychisches Wohlbefinden entsteht auch durch Sicherheit. Die aktuelle Situation ist für uns alle momentan allerdings geprägt von einem Verlust von Kontrolle und Planbarkeit. Unser Alltag hat sich in kürzester Zeit immens verändert. Alles sortiert sich ständig neu, wird neu gewichtet und bewertet. Es ist nicht absehbar, wie lange der aktuelle Zustand andauern wird. Oder wann wir zu den Gewohnheiten zurückkehren können, die unser Leben bisher positiv geprägt haben. Daher sind wir aktuell besonders gefordert darin zu schauen, in welchen Bereichen wir Sicherheit erleben können.

„Autonomy“
Neben der Sicherheit gehört auch die Autonomie zu den psychischen Grundbedürfnissen des Menschen. Sie beschreibt das elementare Bedürfnis, selbstbestimmt zu leben. Ein Leben mit Kindern bedeutet häufig sowieso bereits eine Einschränkung in der empfundenen Autonomie. In der aktuellen Situation kann unser Autonomieerleben zudem noch einmal deutlich sinken. Denn wir können durch Ausgangsbeschränkungen und geschlossene Kitas und Schulen noch viel weniger, als es sonst innerhalb einer Familie vielleicht möglich ist, autonom entscheiden. Zudem findet alles auf deutlich verkleinertem Raum statt, man hat auch physisch wenig Raum für sich. Um mal (auch räumlich) allein zu sein, bleibt uns Eltern im Zweifelsfall nur der Badezimmeraufenthalt oder die frühen Morgen- und späten Abendstunden.

„Relatedness“
Hier geht es um das Gefühl von Verbundenheit zu anderen Menschen. Blicke ich um mich herum, stelle ich fest, dass viele aktuell eine große Sehnsucht nach Verbundenheit nicht nur empfinden, sondern auch äußern. Und viele erleben es als Geschenk, diese jetzt sowohl in der Familie als auch im Freundeskreis zu spüren. Gleichzeitig kann die aktuelle Situation uns aber auch zu der Erkenntnis bringen, dass wir uns z.B. unserem Partner derzeit wenig emotional verbunden fühlen. Ein Gefühl, das wir durch einen sonst prall gefüllten Alltag mit viel Abwechslung, Aufgaben und räumlicher Freiheit vielleicht lange gar nicht wahrnehmen konnten und das jetzt möglicherweise auch eine Quelle von Konflikten oder Enttäuschung ist.

„Fairness“
Fühlen wir uns gerecht behandelt? Und haben wir insgesamt das Gefühl, in einem System zu leben, in dem es gerecht zugeht? Jemand anderen als „fair“ zu erleben, erhöht unser Gefühl von Vertrauen und sicherer Verbindung. Gerade dann, wenn die 24 Stunden eines Tages viel zu knapp erscheinen, um alle Bedürfnisse fair zu repräsentieren, sind wir in Zeiten von Veränderung sehr herausgefordert. Denn eine als unfair empfundene Behandlung – z.B. bei der Aufteilung der Betreuungszeit, des Einkaufens, des Haushalts, etc. – führt obendrauf noch dazu, dass wir weniger Vertrauen ineinander haben und uns weniger sicher gebunden fühlen.

 

Und jetzt? Eins nach dem anderen…

Was heißt das jetzt ganz konkret für mich? Mir hat das Modell geholfen, das, was ich gerade erlebe, auf diese Faktoren hin zu überprüfen. Als erstes durfte ich dabei lernen, dass es gar nicht um Perfektion geht. Ich muss nicht alles auf einmal in Angriff nehmen. Es geht ums Anfangen, um den ersten kleinen Schritt. Anfangen hieß für mich: überlegen, wie es eigentlich um diese fünf Aspekte in meinem Leben gerade bestellt ist. Womit komme ich gerade gut zurecht? In welchem der Aspekte habe ich aber das deutliche Bedürfnis, etwas zu verändern? Was genau wünsche ich mir? Wenn ich weiß, woran ich gerade knabbere, dann kann ich ganz gezielt schauen, was ich verändern kann oder in der Familie besprechen möchte.

 

Friede, Freude, Eierkuchen in Corona-Zeiten?

 

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht leicht ist, Platz für all diese Faktoren im Corona-Familienalltag zu schaffen. Wenn jeder zu seinem Recht kommen möchte und es zudem noch Erwartungen von außen – dem Arbeitgeber, der Schule – gibt. Oder man als alleinerziehender Elternteil die Situation allein bewältigen muss. Und gleichzeitig hab ich die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, diesen Fragen nachzugehen und damit für meine eigene gute Laune und Kraft zu sorgen. Und zu erkennen, das mein Gegenüber ganz ähnliche Bedürfnisse hat, was wiederum die Empathie und auch die Verbundenheit stärkt. Ist deswegen aktuell jeder Tag bei uns Friede, Freude, Eierkuchen? Nein. Auch die Sorgen, die Unsicherheit und die Unzufriedenheit sind da, aber seltener, ich verstehe ihre Quellen neu und besser und das hilft mir dabei, jeden Tag aufs Neue erstmal so zu nehmen wie er kommt. Die Reise geht also weiter. Bleibt gespannt und dran!